95 Jahre Automobilproduktion und 100 Jahre MIAG-Gelände in Ober-Ramstadt
Die hier erzählte und eng mit Ober-Ramstadt verbundene Geschichte, nahm ihren Anfang in Baden: Im August 1920 wurde in Durlach von den Ingenieuren Carl Au und Walter Stein die Durlacher Fahrzeugwerke GmbH gegründet. Am 12 Juli 1921 traten Gottlieb Hartlieb und der Kaufmann Ludwig Sauber in die Gesellschaft ein. Das Ziel war, in Sontheim bei Heilbronn, wo Gottlieb Hartlieb eine größere Autowerkstatt betrieb, unter dem Markennamen Falcon eine Automobilproduktion aufzuziehen.
Erste Automobile der Falcon-Automobilwerke GmbH rollten bald auf der Straße und beim Eröffnungsrennen auf der Berliner AVUS am 25. September 1921 nahmen zwei Falcon-Rennwagen teil. Allerdings mit mäßigem Erfolg: Die von Emil Retzbach und Gottlieb Hartlieb gefahren Wagen landeten unter „ferner liefen“. Aber dass diese überhaupt das Rennen ohne große Probleme durchhielten, wurde als großer Erfolg gewertet.
Nun stellten sich Verkaufserfolge ein und die Räume in Sontheim reichten bald für den Bau von Autos nicht mehr aus. Deshalb suchten die Verantwortlichen nach einem größeren Werksgelände.
Fündig wurden sie in Ober-Ramstadt, wo die dort ansässige Deutsche Munitionsfabrik Max Walbinger ihre Produktion einstellen musste.
Max Walbinger hatte um das Jahr 1917 – also vor nunmehr 100 Jahren – die heute als MIAG-Gelände bekannten – und inzwischen bis auf Verwaltungsbau und Hundertmeterhalle abgerissenen – Fabrikhallen im „Ochsenbruch“ errichten lassen. Das Jahr 1917 markiert demnach den Anfang von Ober-Ramstadt als Standort einer größeren industriellen Fertigung. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges lieferten Walbingers Fabriken (er hatte mit der heutigen „Goldenen Nudel“ und dem ehemaligen Buko-Gelände noch zwei weitere Standorte in Ober-Ramstadt) Zünder für Granaten. Bis zu 2000 Arbeiter – ganz häufig Frauen – arbeiteten damals in mehreren Schichten, auch im Werk „Ochsenbruch“.
Die Umstellung auf Friedensproduktion brachte nach 1918 keinen wirtschaftlichen Erfolg. Jagdmunition und eine Schreibmaschine mit dem schönen Namen Senator konnte Walbingers Fabrik nicht retten.
Etwa zum Jahreswechsel 1921/1922 erwarb die von der Frankfurter Tellus AG, Gebrüder Röchling (Zweigniederlassung Frankfurt/Main), Leo Jacobi & Co., Max David und Fritz Cahn finanzierte Firma, Walbingers ehemaligen Rüstungsbetrieb. Das neue Unternehmen firmierte nun unter Falcon Werke AG.
Neben einer allgemeinen mechanischen Fertigung und der Weiterproduktion der Senator-Schreibmaschine, war es das Ziel, in größerem Stil Falcon-Automobile in Ober-Ramstadt zu bauen.
Im Februar 1922 wurden die – teilweise noch nicht ganz fertigen – Hallen der Munitionsfabrik im „Ochsenbruch“ übernommen. Gottlieb Hartlieb, Carl Au und etliche Mitarbeiter aus dem Badischen wechselten in dieser Zeit ebenfalls nach Ober-Ramstadt.
Unter diesen Voraussetzungen begann die Falcon Werke AG noch 1922 die Produktion des kleinen, sportlichen Falcon CA 6 6/20 PS. Für dessen Bauweise dürften wohl französische Automobilkonstruktionen Pate gestanden haben – das „Abkupfern“ war damals in der Branche Gang und Gäbe.
So entsprach der Falcon-Wagen den damals gängigen Standards im Automobilbau: Der
4-Zylindermotor des CA 6 hatte seitlich stehend Ventile, die über Stößel von der seitlich unten im Motorblock liegenden Nockenwelle betätigt wurden. Aus 1,5 Liter Hubraum leistete der Motor 20 PS bei 2500 U/min. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 75 km/h. Der Käufer konnte ihn als offenen drei- oder viersitzigen Tourenwagen oder auch als dreisitzige Limousine erwerben.
Die Karosserien stammten zunächst aus der schwäbischen Heimat der Firmengründer, der Karosseriebaufirma Drauz in Heilbronn. Aber auch die damals in Darmstadt neu gegründeten Ersten Darmstädter Karosseriewerke – Georg Autenrieth bekamen Aufträge von Falcon.
Auf Basis dieses Wagens entstanden in Ober-Ramstadt auch mehrere Rennwagen, mit denen das Werk an Sportveranstaltungen teilnahm. Meist waren diese Wettbewerbe nur von regionaler Bedeutung, aber bald hatte der Falcon CA 6 den Ruf eines guten, zuverlässigen und leistungsfähigen Automobils.
Ausgerechnet 1923, auf dem Höhepunkt der Inflation, beschloss dann das Ober-Ramstädter Unternehmen, dem CA 6 ein größeres Modell zur Seite zu stellen.
Für den großen Falcon war nun ein moderner 6-Zylindermotor mit oben liegender Nockenwelle vorgesehen, der aus 2 Liter Hubraum etwa 50 PS entwickelte. Als 1924 der Ingenieur Hubert Tutschka die technische Leitung des Werks übernahm, gab man den kostspieligeren 6-Zylinderwagen zugunsten des Modells Typ T VI auf.
Doch so recht zufrieden waren die Verantwortlichen mit der neuen Konstruktion nicht, denn der Motor bereitete Sorgen: Durch die Bauweise des Zylinderkopfes ergaben sich thermische Probleme, die oft zum Versagen der Zündkerzen führten. Trotzdem gab es vom Typ T VI Sportversionen, die aus den knapp 1,5 Liter Hubraum bis zu 45 PS leisteten. Dabei erreichte das Triebwerk für die damalige Zeit respektable Drehzahlen von etwa 4000 U/min. Die „zivile Variante“ schaffte dagegen nur etwa 30 PS.
Der Typ T VI, der nach einem Prospekt dazu bestimmt war, »höchste Ansprüche zu befriedigen«, war das letzte Modell der Firma Falcon. Das Werk geriet in immer größere finanzielle Schwierigkeiten. Als Mitte der 20er Jahre die Einfuhrzölle für ausländische Automobile gesenkt wurden, verdrängten preisgünstig in Massenfertigung hergestellte ausländische Fahrzeuge viele deutschen Konkurrenten vom Markt. Die ausländischen Modelle waren technisch oft besser als die noch in Einzelanfertigung hergestellten deutschen Wagen. In der deutschen Automobilindustrie, die zeitgleich zu Falcon noch etwa 70 (!) weitere Automobilmarken aufzubieten hatte, setzte ein Massensterben ein, dem 1926 auch die Falcon Werke AG in Ober-Ramstadt zum Opfer fiel. Etwa 300 bis 400 Autos hatte das Unternehmen bis dahin gebaut. Typenschilder auf zwei jüngst entdeckten Kühlern von Falcon-Wagen lassen auf diese Produktionszahlen schließen.
Die Falcon-Werke AG wurde am 30.Oktober 1926 von der neu gegründeten und vom Hauptaktionär der MIAG, Hugo Greffenius, finanzierten Röhr Auto AG übernommen. Es begann mit der Fertigung des von Hans Gustav Röhr und Joseph Dauben konstruierten Röhr 8 ein neues, bedeutendes Kapitel nicht nur für Ober-Ramstadt, sondern auch für den gesamten deutschen Automobilbau. Doch das ist eine andere Geschichte, die vor 100 Jahren mit dem Bau einer Munitionsfabrik ihren Anfang nahm.
Max Walbinger, durch den das Werk im Ochsenbruch eigentlich erst entstanden war, versuchte viel später, nach dem Ende der Röhr-Werke in den 1930er Jahren, seine Fabrik zurückzubekommen. Vergebens – es wird erzählt, dass er verarmt starb
Werner Schollenberger mit seinem Automobilhistorischen Archiv sucht nach Informationen, Unterlagen, Fotos zur Geschichte der hessischen Automobilgeschichte. Speziell zu den Herstellern Adler, Falcon, FAFAG, Garbaty, HAG, Autenrieth, Röhr usw.
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